Philipp Jahn über User Experience

Mit der Serie #TalkNerdyToMe stellen wir euch Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen vor und geben einen Einblick in ihre Arbeit. Diesmal sprechen wir mit Philipp Jahn, Produkt Owner und Process Development bei Bosch in Wien.
Philipp, du bist einer unserer Experten im Bereich User Experience, oder kurz „UX“. Erzähl uns mehr zu diesem Thema!
Wenn man die User - also die Anwenderinnen und Anwender eines Produkts - fragt, was sie wollen, kommen meist konkrete Ideen und Vorschläge. Setzt man diese um, sind die User oft trotzdem unzufrieden mit dem Endergebnis.
Hier setzt User Experience (UX) an: Im sogenannten Design Thinking Prozess werden die User Needs in den Vordergrund gestellt und genau analysiert, was hinter den Aussagen und Wünschen des Users steht. Ziel ist es, den Nutzerinnen und Nutzern eine gute Erfahrung mit dem Produkt, also eine positive User Experience, zu verschaffen. Das Produkt, von dem wir sprechen, kann vom Akkubohrer für Konsumentinnen und Konsumenten, bis hin zum Software Tool für interne Anforderungen, alles darstellen. Gerade im internen Software-Bereich gab es über Jahrzehnte den Gedanken: „Das muss nicht schön aussehen, das ist eh nur intern“. Dies ist ein großer Trugschluss. Ich glaube, mit einer guten User Experience ist jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter motivierter, macht weniger Fehler, ist begeisterter vom gesamten Arbeitserlebnis und hat somit insgesamt eine bessere Arbeits-Experience. Wir sprechen nämlich immer mehr von Gesamterlebnissen, nicht von einzelnen Situationen. Um die positive UX erreichen zu können, braucht man ein diverses Team, da eine einzelne Person nicht alle nötigen Skills und Fähigkeiten besitzen kann. So werden Expertinnen und Experten verschiedenster Bereiche und Branchen mit unterschiedlichen Hintergründen benötigt. Es geht um einen kreativen Prozess, um neue Ideen, um Out-of-the-Box-Denken und vor allem darum, Dinge nicht im Vorhinein auszuschließen.
Was bedeutet der Begriff „Design Thinking“?
Was wir wollen, ist eine gute User Experience. Was uns dorthin führt, ist der „Design-Thinking“-Prozess.
Man startet mit Planungsaktivitäten (Was will man erreichen?). In der anschließenden User Research Phase führt man Userinterviews, Usertests oder Expertsurveys durch. Die daraus entstandenen Ergebnisse werden gesammelt, damit man auf den Punkt kommt: „Was steckt hinter den Aussagen der User?“ Mit den Top Findings startet die Synthese Phase. Hier wird versucht, die Bedürfnisse und Erkenntnisse des User Researchs zu clustern und durch verschiedene Techniken, wie beispielsweisen den „How-Might-We-Fragen“ vom Problemverständnis in Richtung Lösungsfindung zu bewegen. In der anschließenden Ideate & Realise Phase werden, wie eingangs erwähnt, Ideen generiert und aus den besten Gesamtkonzepten dann sogenannte Prototypen erstellt. Diese sollen dem User ein Gefühl für das mögliche End-Produkt geben. Es handelt sich hierbei um keine fertige Lösung, sondern nur um einen groben Prototyp.
In der Test- & Feedback-Phase werden die Prototypen einem sogenannten User-Test unterzogen, in dem beobachtet wird, ob der Umgang mit dem Produkt für den User gut bzw. intuitiv ist oder was verbessert werden kann. Basierend auf den Ergebnissen geht man entweder wieder einen Schritt zurück, in die Ideate & Realise Phase und verbessert die aktuelle Lösung, oder man startet von Neuem, da festgestellt wurde, dass das Problem nicht vollumfänglich erfasst wurde.

Was fasziniert dich am meisten an diesem Thema?
Es ist die Sicherheit, dass man das Richtige macht. Man wartet nicht zwei Jahre, um mit dem finalen Produkt zum User zu kommen, sondern erstellt einen Prototyp und iteriert. Das heißt, es werden frühzeitig Feedbackschleifen mit den Usern durchgeführt. So kommt man schnell zu der Gewissheit, ob das, was man macht, in die richtige Richtung geht oder ob das Konzept komplett geändert werden muss. Durch diese Methode kann sichergestellt werden, dass man sich nicht verrennt, und spart somit hohe Reproduktions- und Verbesserungskosten. Das Entwickeln selbst macht auch viel mehr Spaß, weil man weiß, dass man an einem Projekt arbeitet, das den Kundennutzen in den Vordergrund stellt. Man versucht zu verstehen, was die User wirklich brauchen. Henry Ford hat einmal gesagt „Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde.“ Das ist ein sehr plakatives Beispiel dafür, dass der User ein Bedürfnis hat, aber die Lösung selbst nicht sieht.
Was hat Bosch mit diesem Thema zu tun?
Ich bin vor 4 Jahren mit der Entwicklung eines Tools in die UX-Welt hineingestolpert. Wir haben Unterstützung aus unserer Zentrale in Stuttgart bekommen und so habe ich live erlebt, wie und warum UX funktioniert. Das Ziel von Bosch ist es, dieses userzentrierte Mindset in allen Geschäftsbereichen zu verankern, um unser Unternehmen für die Zukunft gut aufzustellen.
Was hat dein Job mit dem Thema zu tun?
Ich war bis Ende letzten Jahres als Product Owner für das Thema Review, also für die Entwicklung von Web Applikationen sowie Methodenbeschreibungen und Arbeitsanweisungen, zuständig. All das sind Produkte, mit denen unsere Endanwender, also in erster Linie unsere Entwickler, in Berührung kommen. Hier war mir immer wichtig, dass wir durch UX sicherstellen, dass sie eine gute Erfahrung mit den Produkten machen. Seit Anfang dieses Jahres habe ich das Privileg, ein internationales UX-Team aufzubauen. Dabei verfolge ich das Ziel, dieses userzentrierte Mindset in alle Produkte hineinzubekommen.
Was muss man für deinen Job können?
Man muss kommunikativ sein. UX basiert darauf, dass man ins Gespräch mit den Usern geht – sich die Zeit nimmt und ihnen zuhört. Um festzustellen, was die User wirklich brauchen. Hilfreich ist auch, die richtigen Fragen zu stellen, um den Kern der Aussagen herauszufinden. Auch ein gutes Auge für Design ist unabdinglich, um Probleme und Lösungen gut visualisieren zu können und eine möglichst intuitive Handhabung des Produkts für den User gewährleisten zu können.
Welches Buzzword kannst du nicht mehr hören?
Mein Buzzword ist „agil“. Es wird immer wichtiger, ein agiles Mindset zu haben und dieses auch zu leben. Durch die inflationäre und häufig auch falsche Verwendung des Wortes „agil“ wird eine effektive und richtige Umsetzung agiler Arbeitsweisen oft erschwert.
Erzähl uns eine Anekdote aus deiner Bosch-Zeit.
2014 habe ich zwei Monate am Bosch-Standort in Coimbatore, Indien gearbeitet. Das war für mich das erste Mal überhaupt, dass ich in den asiatischen Raum geflogen bin. Ich wollte so weit wie möglich in die indische Kultur eintauchen, ein bisschen nach dem Motto: „Ganz oder gar nicht“. Das bedeutete: indisches Hotel, kein Taxi, sondern öffentliche Busse, nur indisches Essen.
Das Resultat war: Zweimal pro Tag eine Woche lang nur Wasser und Brot – meine Verdauung hat das nicht ganz mitgemacht, viele Blicke während meiner Busfahrten, Telefonate nach Hause am Gang des Hotels, weil dort das WiFi besser war als im Zimmer. Zur allgemeinen Erheiterung hat auch beigetragen, dass ich mich dem Trend meiner indischen Kollegen angepasst habe und von Vollbart auf Schnauzer umgestellt habe.
Letztlich kam ich 8 Kilo leichter, dafür mit vielen eindrücklichen Erlebnissen und mehr Verständnis der indischen Kultur und Arbeitsweise wieder zurück nach Hause.
Über Philipp Jahn
Philipp hat „Technische Informatik“ studiert und ist danach direkt bei Bosch eingestiegen. Die ersten vier Jahre arbeitete er als Software-Funktionsentwickler. Als Product Owner war er fünf Jahre für das Thema Review zuständig sowie Projektleiter der zugehörigen Toolentwicklung. Nun ist er verantwortlich für den Aufbau eines internationalen UX Teams.